Corona-Gespräche | 06
Heute zu Gast: Michael Kreuzfelder, Direktor des Caritasverbandes Oberhausen
„Die negativen sozialen Folgen durch Corona sieht man jetzt erst in Andeutungen“
Michael Kreuzfelder ist Direktor des Caritasverbandes Oberhausen und derzeit Sprecher der Wohlfahrtsverbände in Oberhausen. Mit ihm sprach ich über die Rolle der Sozialverbände in der Pandemie, über Tarifverträge und den besonderen Druck, der auf Mitarbeiter im Sozialwesen lastet.
Sonja Bongers: Als Caritas sind Sie ja nah an den Leuten. Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben die Corona-Krise wahrscheinlich nochmals deutlicher als Menschen, die nicht im Sozialbereich arbeiten. Wie beurteilen Sie jetzt nach einem Jahr Corona die Lage und was sagen Sie ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern?
Michael Kreuzfelder: Tja das überlegen wir auch permanent. Was können wir für die Belegschaft tun, damit die Stimmung nicht kippt? Wo können wir unseren Leuten helfen? Eins ist klar: Wir müssen achtsam miteinander sein. Es ist gerade überall im sozialen Bereich eine absolute Erschöpfung und Ermüdung festzustellen. Und das gilt für alle Arbeitsfelder, sei es zum Beispiel ambulant betreutes Wohnen, Offener Ganztag oder die Kitas.
Sonja Bongers: Die Caritas in Oberhausen ist in vielen Bereichen aktiv. Einer der Arbeitsschwerpunkte, der insbesondere jetzt in der Pandemie oft im Mittelpunkt steht, ist der der Kitas. Wie schätzen Sie dort die derzeitige Lage in Oberhausen ein?
Michael Kreuzfelder: Also vorab, der Krisenstab in Oberhausen macht gute Arbeit. Aber was die unterschiedlichen Anforderungen der unterschiedlichen Behörden von Land und Kommune angeht, ist das eher schwierig. In Düsseldorf will man, dass wir irgendwie die Situation meistern, die Gesundheitsämter machen uns aber klare Vorgaben hinsichtlich der Hygienestandards. Oftmals sind die Anweisungen widersprüchlich. Verantwortung wird auf dem Rücken der Träger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Eltern und Kitas abgeladen. In Düsseldorf sitzen Juristen in den Ministerien, die halten die Verantwortung von ihren Häusern fern und das ist keine gute Einstellung, um gemeinsam eine Pandemie zu meistern. Das kommt bei den Beschäftigten und Eltern genauso an. Die fühlen sich häufig im Stich gelassen. Für diese Situation machen wir hier alle zusammen in Oberhausen glaube ich einen wirklich tollen Job.
Sonja Bongers: Mit welchen Folgen rechnen Sie durch die Pandemie und kann man vielleicht auch etwas Positives aus dieser Pandemie für eine Gesellschaft zeihen?
Michael Kreuzfelder: Die negativen soziale Folgen durch Corona sieht man jetzt erst in Andeutungen. Ein Beispiel: Kinder die jetzt in die Kita zurückkehren, die haben ein Jahr verloren. Wir sehen soziale und Entwicklungsrückschritte bei manchen Kindern. Oder beobachten Menschen mit Behinderung, die sich zurückgezogen haben oder Leute mit psychischen Erkrankungen, die nicht mehr am Leben teilhaben. Ich muss sagen, mir fällt es aus sozialer Sicht schwer, etwas Positives aus dieser Pandemie zu ziehen. Diejenigen, deren Leben eh schon schwierig war, haben es noch weiter schwerer.
Sonja Bongers: Kann man schon beziffern, wie groß der finanzielle Verlust ist, den ein Verband wie die Caritas in Oberhausen verbuchen muss?
Michael Kreuzfelder: In der gesamten Branche sind zwei Trends deutlich: höhere Ertragsausfälle und nicht oder nur teilweise kompensierte Mehrkosten durch Coronaschutzauflagen. Gleichzeitig reichen die öffentlichen Programme für die Ausfälle nicht aus. Der negative wirtschaftliche Effekt in 2020 beläuft sich allein bei uns auf rund 500.000 Euro. Wir betreiben etwa mit dem „Bistro Jederman“, wo Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten, Gastronomie und haben wie alle anderen. Die Gehälter laufen weiter, der Betrieb bleibt eingeschränkt. Menschen mit psychischer Erkrankung ziehen sich zurück, obwohl sie eigentlich einen höheren Bedarf haben, die Mitarbeiter bleiben natürlich am Ball, können aber keine Leistung abrechnen.
Sonja Bongers: Inwieweit beeinflusst das die Planungen?
Michael Kreuzfelder: Massiv, es kann einfach nicht vernünftig geplant werden. Wir haben 146 verschiedene Einnahmequellen in unserem Verband, die alle sehr unterschiedlich sind. Wir priorisieren, was läuft weiter, was steht auf der Kippe, was ist auf rot, also fällt derzeit weg. Vor allem sorgen wir uns als Verbände darum, was nach der Pandemie kommt, nämlich vermutlich Einsparungen im sozialen Bereich in dem wir jetzt aber mehr bräuchten.
Sonja Bongers: Wie sieht es mit Kündigungen aus? Konzerne und Unternehmen greifen oftmals zu solchen Mitteln.
Michael Kreuzfelder: Wir haben in der Coronakrise niemanden betriebsbedingt gekündigt und die Kurzarbeit auf einem Minimum gehalten. Auch von anderen Trägern ist mir derzeit nichts anderes bekannt.
Sonja Bongers: In den vergangenen Tagen stand die Caritas ziemlich in der Kritik bezüglich desgemeinsamen Pflegetarifvertrages. Wie schätzen Sie das Scheitern dieses gemeinsamen Pflegtarifvertrages ein und wie beurteilen Sie die Rolle der Petitionsplattform campact, die ja mit federführend in der Diskussion dabei war?
Michael Kreuzfelder: Wir als Caritas Oberhausen bieten keine Dienste der Altenpflege an. Dennoch möchten wir hierzu klar Position beziehen, denn die Verunsicherung und die Irritationen sind einerseits verständlich, denn in den Veröffentlichungen fehlen meist die Informationen zu den Hintergründen der Entscheidung. Fakt ist, dass sich die Caritas seit Jahren für bessere Bedingungen in der Pflege einsetzt. Zudem richtet sich der Appell von Campact an den falschen Adressaten: Die Kampagne macht die Caritas zum Sündenbock für schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen in Pflegeeinrichtungen, die nichts mit der Caritas zu tun haben. Die Caritas sorgt – und das wird auch von den Gewerkschaften anerkannt – bereits für eine hohe Tarifbindung, faire Bezahlung und gute Bedingungen für alle Pflegerinnen und Pfleger. Es sollten vielmehr diejenigen in den Fokus genommen werden, den Pflegekräften niedrige Löhne zahlen, die sich Tarifverträgen verweigern.
Sonja Bongers: Was war die Hauptsorge bei der Caritas?
Michael Kreuzfelder: Entscheidend ist hier die Arbeitsrechtliche Kommission auf Bundesebene. Dort gab es die Sorge, dass dieser Tarifvertrag die guten Löhne und Arbeitsbedingungen bei der Caritas gefährdet. Die Caritas beschäftigt in der Altenpflege 170.000 Menschen und wir wollen, dass sie weiterhin fair entlohnt werden. In Zeiten knapper Kassen könnte ein allgemeinverbindlicher Minimaltarif zum Maß der Refinanzierung der Kosten werden. Das heißt, die Kostenträger könnten sich an den minimalen Tarifen orientieren und den Caritas-Diensten nicht mehr die höheren Kosten des Caritas-Tarifvertrages AVR zahlen. Die Mehrkosten würden auf die Träger umgewälzt, das System würde sich nicht mehr tragen.
Sonja Bongers: Was wäre denn Ihre Idee um die Probleme bei der Entlohnung im Pflegebereich angemessen zu lösen?
Michael Kreuzfelder: Alle Pflegekräfte sollten auf dem Niveau der Caritas entlohnt werden. Dazu gehören neben einen höheren Stundenlohn, eine gute betriebliche Altersvorsorge und angemessene Überstundenregelungen. Die Pflege muss aber auch bezahlbar bleiben. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen sich gute Pflege leisten können. Dafür müssen die Pflegebeiträge gedeckelt und die aktuelle Pflegeversicherung zu einer echten Teilkaskoversicherung umgebaut werden. Auch sollte endlich Schluss mit Dumpinglöhnen sein. In Zukunft sollten Unternehmen Pflege nur anbieten dürfen, wenn sie ihre Mitarbeitenden nach Tarif bezahlen.